Am Montag habe ich mir ein Basisschnittmuster erstellt, das hätte ich schon lange auf meiner inneren To-Do-Liste.
Um meine Passformprobleme mal beim Namen zu nennen (eigentlich sollte man nicht von Problemen zu sprechen, oder? Es sind ja nur Abweichungen von dem, was die Hersteller von Kleidung und Schnitten als "Norm" festgelegt haben, warum sollte das überhaupt mit unseren individuellen Maßen übereinstimmen.):
Ein Basisschnittmuster, man kann wohl auch Grundschnitt sagen, ist eine selbst erstellte Vorlage, anhand dessen ich Schnittmuster auf die eigene Passform hin abändern kann.
Schon länger war ich immer mehr unzufrieden mit meinen Ergebnissen bei der Anpassung der Schnittmuster. Zu Zeiten, wo ich noch vorwiegend Jerseykleider nähte, war es mit einzwei Zentimeterchen mehr und weniger hier und da getan (fand ich zumindest), der fluffige Jersey tat sein Übriges, unbequem gibt es bei solchen Klamotten eher selten.
Mit der wachsenden Erfahrung steigen bekanntlich die Ansprüche, ausserdem nähe ich mittlerweile reichlich auch aus festem Stoff und komme mit Pi mal Daumen einfach nicht mehr weit. Ich kann schon Schnitte passformtechnisch verbessern, aber nach dem Zuschnitt sind nur noch marginale Änderungen möglich und neulich bei der Jacke wurde mir dann klar, ohne Fakten, genaue Maße und Vorlagen sollte ich einfach keinen mir unbekannten Schnitt mehr nähen wenn ich nicht Schiffbruch einkalkulieren möchte (oder Probeteile, was ich aber für Alltags für zu aufwändig halte). Besonders schwierig wird es, wenn ich von dem Hersteller noch nie einen Schnitt genäht habe oder bei alten Schnitten, sei es aus Zeitschriften oder als Einzelschitttmuster bei denen dann auch noch die gesamte Körpergröße anders ist und die Abnäher ganz anders sitzen als gewohnt.
Um meine Passformprobleme mal beim Namen zu nennen (eigentlich sollte man nicht von Problemen zu sprechen, oder? Es sind ja nur Abweichungen von dem, was die Hersteller von Kleidung und Schnitten als "Norm" festgelegt haben, warum sollte das überhaupt mit unseren individuellen Maßen übereinstimmen.):
Meine Schulter ist höher und wesentlich schmäler, mein Brustpunkt ist wesentlich tiefer als in Standardschnitten. Die beiden Punkte bringen sich netterweise gegenseitig in Bedrängnis, der Armausschnitt wird nach oben gezogen, ausserdem fehlt mir vorne immer Länge, was wiederum hinten ein zuviel an Länge erzeugt. Die nach oben gezogene Taillenlinie passt zum Glück vorne, aber hinten eben nicht, dadurch ist die Taillenlinie von der Seite betrachtet nach vorne ansteigend und im Rücken entstehen Falten (die evt. auch durch ein leichtes Hohlkreuz noch verstärkt werden).
Ausserdem ist die Taille im Verhältnis zur Brust zu weit und die Hüfte im Verhältnis zur Taille nochmal zu weit. Diese zwei Abweichungen sind noch verhältnismässig leicht zu regeln, ich lasse die Linien bei Mehrgrößenschnitten einfach zur größeren Größe verlaufen. Aber bei Einzelschnitten (alle alten Schnitte sind Einzelgrößen) muss man da auch basteln.
Im Rückblick betrachtet weiss ich jetzt, daß ich oft nur an den Auswirkungen rumgebastelt habe (Stichwort: Falten im Rücken) und die Ursachen mir garnicht bewusst waren. Den zu tiefen Brustpunkt konnte ich an Schittmustern mit mittlerem geraden Abnäher, wie Licorice leicht beheben, den kann man auch am fertigen Kleid noch kürzen, bei der Jacke hingehen ist nach dem Zuschnitt nichts mehr zu machen, ein geteiltes Vorderteil müsste ich vor dem Zuschnitt ändern.
Natürlich könnte ich mich auch jedesmal beim Abpausen mit dem Zentimetermaß hinsetzen und an den neuralgischen Punkten kontrollieren und hier und da Punkte verschieben, aber es scheint mir doch viel praktischer, einfach eine originalgrosse Papiervariante zu haben.
Mithilfe des Grundschnittes hoffe ich, vor allem schneller zu gut sitzenden Oberteilen zu kommen, die Rockteile sind ja eher selten das Problem und Hosen nähe ich im Moment keine.
Nach dem (gefühlten) Desaster mit der Jacke hab ich mich im Internet auf die Suche gemacht, wie so oft findet man vor allem in der englischsprachigen Welt einige interessante Seiten und als ich den Artikel "The Merits of a basic fitting Pattern"der englischen Zeitschrift "Threads" fand, war ich völlig begeistert, das war genau das was ich gesucht hatte! (Kann man sich ausdrucken)
Der Artikel beginnt da, wo man den gut sitzenden Basisschnitt schon erstellt hat, die Problematik nach dem Anpassen des Basisschnittes ist ja: Wie übertrage ich das jetzt auf ein fertiges Schnittmuster, wie gehe ich vor um das abzuändern? Neben der essentiellen Anleitung zum Verlegen von Abnähern wird auch erklärt, wie man durch übereinanderlegen von Basisschnitt und Schnittmuster die Abweichungen erkennt und wie man dann mit Schneiden und Falten angleicht. Mehrzugaben an Weite müssen je nach Schnitt und Design berücksichtigt werden, da wird man sicher auch Erfahrungen machen müssen.
Jetzt brauchte ich eben noch den Basisschnitt, im Artikel "Sloper" genannt.
Schon vor in paar Monaten ist mir dieses alte Beyer-Basisschnittmuster aus den in die Hände gefallen. Wie oben erwähnt hat es von der Grundidee eine andere Form als moderne Schnitte, vor allem an der Brust. So einen spitzen BH wie in den Sechzigern will ich nun nicht tragen, aber als Ausgangsform sollte der Schnitt wohl gehen. (Alternativ könnte man auch einen schmalen, schlichten Schnitt, z.B. von einem Etuikleid nehmen. Enger nähen kann man dann ja immer noch.)
Auch wenn die Brustabnäher vorne allesamt unbrauchbar sind, die heute garnicht mehr üblichen Schulterabnäher im Rückenteil finde ich bei meiner Figur sehr gut, ich habe nämlich oft zuwenig Weite im Rücken in Schulterblatthöhe.
(Ich hoffe und glaube, de Falten auf dem Rückenteil sind nur von der Überdehung des Armes wegen dem Fotografieren...)
Es besteht aus vier Teilen, je Ober- und Unterteil vorne und hinten. Die Unterteile kann man für schmale Röcke nehmen oder für verlängerte Oberteile, die Teilungsnaht ist die Taillenlinie.
Zugeschnitten habe ich aus Bomull von Ikea, also eine einfache Baumwolle ohne Stretch. Für das Vorderteil habe ich 4 Versionen gemacht, bis es so war wie auf dem Foto, die anderen Teile waren schon beim zweiten Versuch ok. Das fertige Oberteil ist eng, aber nicht unbequem. (Es hat einen Reissverschluss). Die Abnäher habe ich auf zwei verteilt, siehe Foto vom Schnitt, das finde ich am passendsten, kann man natürlich je nach Schnittmuster ändern. Eigentlich sind die Spitzen der unteren Abnäher immer noch zu hoch und im Brustbereich ist einen Tick zuviel Weite, aber ich war dann zu ungeduldig, ich wollte es jetzt endlich an einem Schnitt ausprobieren, verändern werde ich sicher noch weiter. Und den Ärmel muss ich noch erstellen.
Der erste Versuch war dann das Kleid im Vintagestil aus der April-knip, genäht habe ich aus Baumwollstoff, eigentlich ähnlich wie der Ikeastoff von der Haptik, nicht zu dünn (normale Leinwandbindung hat ja oft so eine leichte natürliche Elastizität).
Ich habe mir die Änderungen relativ schnell erstellt, die Schulterhöhe an meinem Basisschnitt abgezeichnet, die Abnäher und Seitennähte ebenfalls. Die überschnittenen Schultern ergeben die Ärmel, da hatte ich ein bisschen Sorge, daß das passt, aber die war unbegründet.
Das war die erste Anprobe, schon gut gell? *freu*
Minimal habe ich an der Schulter was rausgelassen, damit die Ärmel mehr Bewegungsfreiheit haben, alles andere hat gepasst, Taille, Rücken, keine Änderungen mehr nötig, toll! Wie gesagt, es ist ein bisschen zuviel Weite über der Brust, die nehme ich am Basisschnitt noch weg, aber bei dem Kleid stört es mich jetzt nicht.
Sitzt, passt, wackelt und hat Luft, so schnell habe ich das noch nie geschafft!(ausser bei Jerseykleidern...)
Das war jetzt viel Text, aber ich hoffe, es interessiert einige von Euch. Ich werde sicher weiter von meinen Erfahrungen berichten, der Start war schonmal sehr vielversprechend!
Oh toll! Danke für den ausführlichen Post. Sowas habe ich auch mal vor, aber irgendwie drücke ich mich noch, warum auch immer. Das fertige Kleid sieht jedenfalls phantastisch an dir aus.
AntwortenLöschenLiebe Grüße
Lotti
Wow! Bin schwer begeistert! Und einen ganz großen Respekt hab ich nun vor dir! Mir geht es aber ähnlich:die Ansprüche steigen und man möchte besser und perfekter werden! Probeweise mag ich auch nicht, also ist die Idee von dir Super gut! Vielleicht sollte ich auch!
AntwortenLöschenMal sehen...
Nicole
Sehr interessanter Post und Danke für den Link. Da ich auch nie Lust habe ein Probeteil zu nähen, wäre das eine gute Möglichkeit - wenn ich mich denn dazu auraffen kann. Dein Kleid sieht jedenfalls richtig klasse aus.
AntwortenLöschenLG Susanne
Vielen Dank für den Link. Auch ich habe mich schon ein Weilchen mit Schnittänderung beschäftigt, damit ich tragbare Dinge produzieren kann. Einen Rock-Sloper habe ich schon, fürs Oberteil steht er noch aus. Das Oberteil für mein Simplicity-Kleid aus dem Sew-Along würde sich wahrscheinlich dafür eignen, dann müßte ich nur die Falten unten in Abnäher umwandeln. Schnitte erstellen macht mir Riesenspaß, aber ich finde es kompliziert und mir raucht immer der Kopf. Das Ergebnis deiner Arbeit kann sich jedenfalls sehen lassen, gratuliere!
AntwortenLöschenLG,Claudia
Ein super interessanter Post für mich. Ich muss immer einiges anpassen und hatte zwischenzeitlich ein echtes Motivationstief...bin zum Glück wieder rausgekrabbelt *lach*. Deine Methode werde ich für mich wohl auch mal ernsthaft in Angriff nehmen, denn ich habe echt keine Lust, für jedes Teil ein Probeteil zu nähen.
AntwortenLöschenLG Luzie
P.S. Du hast mich sowas von angefixt mit dem Nuvem-Tuch, dass ich auch bei Frau Hammer bestellt habe (allerdings in burgunderrot).
Vielen Dank für Deine Mühe, alles so toll aufzuschreiben. Ich habe es mit großem Interesse gelesen. Leider komme ich gerade gar nicht mehr zum nähen aber ich ärgere mich immer über die gekaufte Kleidung und träume von so einem tollen Kleid, wie Du es Dir genäht hast.(Meine To-do-Liste wächst und wächst ;-)...)
AntwortenLöschenEs sieht wunderschön aus!
Viele Grüße
Anja
Ich kann mich meinen Vorrednern nur anschließen: ein sehr interessanter Artikel und das Ergebnis kann sich wirklich mehr als sehen lassen!
AntwortenLöschenIch hatte mir schon einmal Grundschnitte aus einem Buch kopiert - allerdings haben die bisher eher rumgelegen. Dein Artikel ist ein guter Anstoß dazu, das zu ändern. :)
Danke dir für die ausfürliche Beschreibung und den Link! Bisher war mir nicht ganz klar wie ich meinen Grundschnitt auf ein "echtes" Schnittmuster übertrage, da werde ich mich gleich mal durch deinen Link arbeiten. Liebe Grüße, Zuzsa
AntwortenLöschenIch habe dein Post mit großem Interesse gelesen, denn ich habe das vage Gefühl ich muss auch mal an so einem Grundschnittmuster für mich basteln und da sind deine Erfahrungen und Hinweise sehr hilfreich!
AntwortenLöschenDas Kleid ist übrigens sehr klasse geworden!!!
Mir passen Fertigschnitte nie - und beim letzten Teil, wo ich einfach mal wie im Buch die Ärmel gelassen habe, sitzen sie natürlich nicht und sind superunbequem. Unsere VHS bietet Kurse an, um nach den eigenen Maßen einen Grundschnitt für Bein, Arm, Oberkörper, Rock und Ärmel zu konstruieren (und wie man den dann abwandelt). Durch das Konstruieren habe ich erst verstanden, was bei mir alles anders ist (und warum auch Kaufklamotten nicht sitzen). Beim Vergleich der Grundschnitte der 8 Teilnehmerinnen fielen derart eklatante Unterschiede auf, dass klar wurde, die Norm gibt es nahezu nie. Die beiden Kurse, die ich gemacht habe, waren für mich wertvoller als 100 Schnittmuster. LG Anja
AntwortenLöschenHuhu, ich bin auch gerade an einem Basisschnitt dran und habe mich erinnert dass du mal was dazu geschrieben hast. Dein Post ist sehr informativ und ich freu mich schon riesig drauf, endlich keine Probeteile mehr nähen zu müssen :D
AntwortenLöschenliebe Grüße,
yacurama
Danke für den tollen Beitrag. Das Ergebnis überzeugt! :)
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